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Vom Stuhl aus leben!
Da stand er mitten unter Der Stuhl bindet mich auf ei-
Olivenbäumen in der Toskana, nen Punkt im unendlichen
mein Seminarstuhl. Raum fest. Meine Sehnsucht
Vor vielen Jahren leitete ich dort nach unbegrenzter Freiheit,
eine Kreativitätseinheit an einer eine Utopie! Wie es in so exis-
Sommerakademie. Die Teilneh- tentiellen Situationen der Fall
mer hatte ich mit ihrem Stuhl zu sein scheint, wusste ich, es
losgeschickt, diesen kreativ, je galt sich für den Stuhl zu ent-
nach ihrer Kreativsprache, wie- scheiden, um wirklich Mensch
derzugeben, als Bild, als Foto, zu sein. Auch die Natur, so wie
als Tanz, usw. ich sie kannte, trug menschli-
So hatte ich mich selbst auch che Handschrift, war als „nur
auf den Weg gemacht, meinen Natur“ eine Fiktion.
Stuhl in einem Gedicht „spre- Freiheit ereignet sich in Begren-
chen“ zu lassen. für mich auch ausdrückte, „weg zung und Festlegung, die man
Es fiel mir schwer „ihn zu hö- von der Kultur“, weg von dem annimmt. Wer will, was er soll,
ren“, weil so viel Schönes drum vom Menschen Geschaffenen. ist frei, nicht der, der nichts
herum war, die toskanischen So wurde der Stuhl in diesem muss. Dann entstand das Ge-
Hügel, Olivenhaine, Weinberge Augenblick für mich zum Re- dicht „Menschwerdung unter
und das spezifische Licht dort, präsentanten der Kultur. einem Olivenbaum“.
all das, die Natur, sprach mich Mein „Zurück zur Natur“ ent- Trotz allem setze ich mich seit-
an, nur nicht mein Stuhl. hüllte sich aber im gleichen Au- dem auch weiterhin meistens
Vielleicht gerade deshalb wur- genblick als Projektion erleb- gedankenlos bzw. selbstver-
de mir auf einmal deutlich, wie ter Ablehnung durch andere, ständlich auf einen Stuhl. Sel-
sehr ich mich mit Erde, Wind als eigener Minderwert. Und ten erhebt sich dieser zum Kul-
und Wasser verbunden hatte, als Angst vor Begrenzung und tursymbol.
und dieses „zurück zur Natur“ Festlegung:
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