Page 51 - Gehaltvoll 13.2
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Der ge|halt|volle Buchtipp 13.2 /////////  /////////////////////////////////////////////////



        ihm  die Stimme. Ich bin nicht      nach der Freiheit meines Volkes,     meine Aufgabe, beide, den Unter-
        mit dem Hunger nach Freiheit ge-    in  Würde undSelbstachtung zu        drücker und den Unterdrückten,
        boren worden. Ich bin frei gebo-    leben, die mein Leben beseelte,      zu befreien. Manche sagen, das sei
        ren worden – frei auf jede Weise,   die einen erschreckenden jungen      nun erreicht. Doch ich weiß, dies
        die ich kennen konnte. Frei, auf    Mann in einen kühnen verwandel-      ist nicht so. Die Wahrheit ist, wir
        die Felder nahe der Hütte mei-      te, die einen gesetzestreuen Anwalt   sind nicht frei; wir haben erst die
        ner Mutter zu laufen, frei, in dem   zu einem Kriminellen machte, die    Freiheit erreicht, frei zu sein, das
        klaren Fluss zu schwimmen, der      einen Ehemann, der seine Familie     Recht, nicht unterdrückt zu wer-
        durch mein Dorf floss, frei, Me-    liebte, in einen Mann ohne Heim      den. Wir haben nicht den letzten
        alies zu rösten unter den Sternen   und Heimat verwandelte, die ei-      Schritt unserer Wanderung getan,
        und auf dem breiten Rücken lang-    nen  lebensfrohen Mann zwang,        sondern den ersten Schritt auf ei-
        sam dahintrottender Bullen zu       wie ein Mönch zu leben. Ich bin      nem längeren, noch schwierige-
        reiten. Solange ich meinem Vater    nicht tugendhafter oder selbstauf-   ren Weg. Denn um frei zu sein,
        gehorchte und den Gebräuchen        opfernder als der Mann neben mir,    genügt es nicht, nur einfach die
        meines Stammes folgte, hatte ich    doch ich erkannte, dass ich nicht    Ketten abzuwerfen, sondern man
        weder Mensch noch Gottesgesetz      einmal die ärmlichen, begrenzten     muss so leben, dass man die Frei-
        zu besorgen.                        Freiheiten, die mir gewährt waren,   heit des anderen respektiert und
        Erst als ich zu begreifen begann,   genießen konnte, als ich sah, dass   fördert.  Die  wahre  Prüfung  für
        dass meine jugendliche Freiheit     mein Volk nicht frei war. Freiheit   unsere Hingabe an die Freiheit hat
        eine Illusion war, als ich als junger   ist unteilbar; die Ketten an jedem   gerade erst  begonnen.
        Mann entdeckte, dass meine Frei-    einzelnen aus meinem Volke wa-
        heit mir längst genommen war,       ren die Ketten an ihnen allen, die   Aus:  Nelson  Mandela,  Der  lange
        begann ich nach ihr zu hungern.     Ketten an allen Menschen meines      Weg zur Freiheit, Autobiographie.,
        Zunächst, als Student, wollte ich   Volkes waren die Ketten an mir.      Frankfurt/Main: Fischer 1998, S.
        nur Freiheit für mich selbst, die   Während dieser langen, einsamen      833ff
        flüchtigen Freiheiten, nachts au-   Jahre wurde aus meinem Hunger
        ßer Haus bleiben zu können, zu      nach Freiheit für mein eigenes
        lesen, was ich wollte, und zu ge-   Volk der Hunger nach Freiheit al-
        hen, wohin mir der Sinn stand.      ler Völker, ob weiß oder schwarz.
        Später dann, als junger Mann in     Ich wusste so gut, wie ich nur
        Johannesburg, sehnte ich mich       irgendetwas wusste, dass der
        nach den grundlegenden, ehren-      Unterdrücker genauso  befreit
        haften Freiheiten, meine Mög-       werden musste wie der Unter-
        lichkeiten auszuschöpfen, meinen    drückte.
        Lebensunterhalt zu verdienen, zu    Ein Mensch, der einem an-
        heiraten und eine Familie zu grün-  deren die Freiheit raubt, ist
        den – die Freiheit, nicht in einem   ein  gefangener  des  Hasses,  er
        gesetzmäßigen Leben behindert zu    ist eingesperrt hinten den Git-
        werden.                             tern  von  Vorurteil  und  Engstir-
        Doch dann erkannt ich allmählich,   nigkeit. Ich bin nicht wahrhaft
        dass nicht nur ich nicht frei war,   frei, wenn ich einem anderen
        sondern, dass auch meine Brüder     die Freiheit nehme, genauso-
        und Schwestern nicht frei waren.    wenig wie ich frei bin, wenn
        Ich erkannte, dass nicht nur meine   mir meine Freiheit genom-
        Freiheit beschnitten war, sondern   men ist.
        die Freiheit eines jeden, der so aus-  Der Unterdrückte und
        sah, wie ich. Da trat ich dem Af-   der Unterdrücker sind
        rican National Congress bei, und    gleichermaßen ihrer
        da wurde der Hunger nach meiner     Menschlichkeit be-
        eigenen Freiheit zu dem größeren    raubt.
        Hunger nach der Freiheit meines     Als ich das Gefäng-
        Volkes. Es war diese Sehnsucht      nis verließ, war es



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